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Right of Return

Voraussetzung für den oder Verhinderung des Friedens?

Ein denkmöglicher Frieden zwischen Israel und den Palästinensern, bzw. allen arabischen Staaten ist von vielen, in naher Zukunft wohl nicht erfüllbaren Bedingungen abhängig. Neben der Zukunft der jüdischen Siedlungen auf der Westbank und dem Status von Jerusalem steht auch das Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge einem Friedensschluss auf der Grundlage zweier Staaten im Wege. Denn die Millionen, die – weil sie entweder (und das ist eine kleine Minderheit unter denen, die Flüchtlingsstatus beanspruchen) 1948 aus Israel geflüchtet und vertrieben wurden, oder weil (in ihrer großen Mehrheit) als Nachfahren aus der zweiten, dritten oder auch vierten Generation das Recht auf Rückkehr erheben, sind vom Staat Israel als konkret Rückkehrwillige ganz einfach nicht integrierbar: Ihre Häuser, in denen sie oder ihre Vorfahren gelebt haben, stehen zumeist nicht mehr; ihre Dörfer haben urbanen Entwicklungen Platz gemacht, das gesamte Umfeld des Jahres 1948 ist ein völlig anderes geworden. Die Millionen, die als Flüchtlinge einen Rückkehranspruch erheben, stellen mit dieser Forderung die Existenz des Staates Israel in Frage.

Das Schicksal der 1948 Geflüchteten und Vertriebenen ist tragisch. Tragisch ist auch, dass sie – im Gaza-Streifen, auf der Westbank und im Libanon – seit Jahrzehnten in Lagern gehalten und nicht in die arabische (palästinensische) Gesellschaft integriert werden. Sie sind Faustpfand einer Politik, die – im besten Fall – Israel zu maximalen Konzessionen zwingen oder, im schlimmsten Fall, zerstören will.

Das palästinensische Opfernarrativ tendiert dazu, die Tragik der Flüchtlinge als spezifisch hervorzukehren; als ein- oder erstmalig, auch, um damit eine Art Gegenstück zum primären jüdischen Opfernarrativ zu konstruieren – zum Holocaust. Aber während dieser tatsächlich „erstmalig“ war („unprecedented“, nach Yehuda Bauer), ist die Tragik der palästinensischen Flüchtlinge eine, die eine lange Vor- und auch Nachgeschichte analoger Tragödien hat. Um nur ein Beispiel zu nennen: Das Schicksal der vertriebenen palästinensischen Flüchtlinge entspricht grundsätzlich dem der polnischen und deutschen Flüchtlinge, die um 1945 zwangsweise umgesiedelt wurden, um der Nachkriegsordnung von Jalta und Potsdam zu entsprechen. Dieser Vergleich bedeutet kein Geringreden des Leidens der Palästinenser. Er ist aber ein Hinweis auf die Notwendigkeit des Vergleichens; vor allem aber darauf, dass eine Friedensordnung auch auf der Akzeptanz von Fakten aufbaut, ja aufbauen muss – und nicht oder nicht nur auf dem Beharren auf ein Recht.

Das Schicksal der geflüchteten und vertriebenen Palästinenser ist auch in Verbindung mit dem der geflüchteten und vertriebenen Juden zu sehen. Zwar kann zu Recht eingewendet werden, dass der Holocaust und die von diesem ausgelöste Migrationswelle nicht in der Verantwortung arabischer Politik und arabischer Staaten liegt. Sehr wohl kann aber angeführt werden, dass die Flucht und Vertreibung der Juden nicht aus Europa, sondern aus dem arabischen Raum eine arabische Verantwortung begründet. Die Flucht und Vertreibung von Palästinensern aus Israel und die Flucht und Vertreibung von Juden aus dem arabischen Raum eröffnet eine andere historische Perspektive: die des Bevölkerungsaustauschs. Und dafür liefert die Geschichte des 20. Jahrhunderts ein wichtiges Beispiel.

Nach dem katastrophalen griechisch-türkischen Krieg von 1922 vereinbarten die Türkei und Griechenland einen Austausch der Minderheiten. Über eine Million ethnischer Griechen wurde aus der Türkei nach Griechenland ausgesiedelt, nahezu dieselbe Zahl ethnischer Türken aus Griechenland in die Türkei. Hinter dieser Aktion stand die Einsicht, dass – angesichts der Gewaltgeschichte des Krieges – die ethnischen Minderheiten am besten geschützt und Gründe für ein neues Aufflammen der Gewalt beseitigt werden könnten, wenn die beiden Staaten sich auf eine solche Aktion des akkordierten Bevölkerungsaustausches verständigen.

 

Dieser Austausch war keine ideale Lösung: Die tief verwurzelte Existenz griechischer Siedlungen am Schwarzen Meer und an der Westküste Anatoliens wurde brutal unterbrochen wie auch die Geschichte türkischer Siedlungen in Thrazien. Menschen wurden aus ihrem Umfeld gerissen, um anderswo angesiedelt zu werden. Aber der Austausch wurde aus guten Gründen als das „kleinere Übel“ angesichts der Massaker bewertet, die den Krieg von 1922 charakterisiert hatten. Der akkordierte Bevölkerungsaustausch wurde als einziges Mittel gegen weiter drohende, genozidale Explosionen gesehen.

Ist die Problematik der palästinensischen Flüchtlinge, zwei bis drei Generationen nach 1948, so ganz anders? Hat ihr Schicksal nicht auch eine Entsprechung auf jüdisch-israelischer Seite? Hunderttausende Juden aus arabischen Ländern – von Marokko bis Irak – flüchteten im Zuge antijüdischer Gewalt. Auch hier, wie im Israel des Jahres 1948, verschwimmt die Grenze zwischen systematischer Vertreibung und politisch gewollter, unterstützter und instrumentalisierter Flucht. Doch während die jüdische Massenwanderung aus dem Jemen beispielsweise von Israel genutzt wurde, um „orientalische“ Juden zu integrieren, nutzten die arabischen Staaten die palästinensischen Flüchtlinge als Faustpfand gegen Israel.

Wenn man einen Frieden will, der notwendigerweise auf Kompromissen aufbauen muss, sind die Opfernarrative beider Seiten zu respektieren. Wenn – grundsätzlich richtig – die arabische Seite von Israel den Respekt und die Anerkennung der Tragödie der palästinensischen Flüchtlinge verlangt, dann kann – ebenfalls zu Recht – die israelische Seite auf Respekt und Anerkennung des ebenfalls tragischen Schicksals der aus arabischen Ländern nach Israel geflüchteten Juden drängen. Das schließt natürlich ein Rückkehrrecht israelischer Juden nach Marrakesch oder Bagdad nicht ein; aber eben deshalb könnte erwartet werden, dass die arabisch-palästinensische Seite ihren Rechtsanspruch zumindest relativiert.

Eine Lösung ist sichtbar, die einerseits die Tragödie der palästinensischen Flüchtlinge respektiert und berücksichtigt – und andererseits einen Friedensschluss nicht behindert, ja überhaupt erst ermöglicht. Diese Lösung war in Camp David, im Sommer 2000, und in Taba, Anfang 2001, schon auf dem Tisch: Eine grundsätzliche Anerkennung des „Right of Return“ durch Israel und ein gleichzeitiger Verzicht der Palästinenser auf tatsächliche Rückkehr nach Israel, mit Ausnahme einiger spezieller Fälle, wie etwa Familienzusammenführungen. Im Rahmen einer Zweistaaten-Lösung würde sich das Recht auf Rückkehr prinzipiell nur auf den Staat der Palästinenser beziehen. Der Verzicht auf eine Rückkehr nach Israel würde für die palästinensischen Flüchtlinge und die arabische, palästinensische Politik durch finanzielle Unterstützungen von Seiten der internationalen Gemeinschaft (auch Israels) akzeptabel gemacht werden.

Die Lösung liegt auf dem Tisch. Sie wird offenbar nicht gewollt. Dass es auch auf israelischer Seite Tendenzen gibt, durch eine Unnachgiebigkeit in der Frage der Siedlungen ebenfalls jeden konkreten Schritt in Richtung auf Frieden zu blockieren, entspricht dem Gesamtbild: Der Friede in Form einer Zweistaatenlösung wird nicht ernsthaft gewollt. Solange es zu keinem Siedlungsstopp auf der Westbank kommt und solange die palästinensische, die arabische Politik auf dem uneingeschränkten „Right of Return“ beharrt, wird es keinen Frieden zwischen Israel und den Palästinensern geben können. Dass eben dies auch und gerade durch die Aufrechterhaltung des Rechts auf Rückkehr beabsichtigt ist, liegt auf der Hand.

 

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