Es war ein heißer Sommer im Jahr, das mit der Rückeroberung von Stalingrad durch die sowjetische Armee begonnen hatte. Hoch oben, über den mit üppig grünen Wäldern bedeckten Gipfeln der Sila, umkreiste das kleine Flugzeug in sich ständig wiederholenden gleichen Runden das Gebiet, auf dessen Hängen der höher gelegene Ortsteil von Celico lag. Es glänzte silbern und so harmlos in der Sonne. Dieser mysteriöse und seltsame Vorgang dauerte viele Tage. Es handelte sich obendrein sicher um einen feindlichen Flieger. Die englische 8. Armee war schon vor Wochen auf Sizilien gelandet und wir hofften innigst auf die Ankunft der Alliierten am Festland, bei uns in Kalabrien. Die Anwesenheit der deutschen Wehrmacht war in jedem Sinne bedrohlich, denn sie bereiteten Abwehrmaßnahmen vor und sprengten alle Brücken und Zufahrtsstraßen. Unsere ländliche Ruhe hatte sich in Angst und Schrecken verwandelt, auch wegen der schweren Bombenangriffe der Engländer in den heißen, klaren Sommernächten. Im Ort tuschelte man von einem geheimen Flughafen der Wehrmacht, versteckt in den Wäldern der Sila, den der silberne kleine Flieger auskundschaften sollte. Da im Krieg immer wieder eine Menge Gerüchte kursierten, wollte niemand an das „Märchen“ des geheimen Flugplatzes glauben. Eines Tages aber war der Späher der Lüfte verschwunden und auf der Autostraße, die von der Sila durch unser Dorf in die Stadt führte, rollten ununterbrochen Wehrmachts-LKWs ins Tal, voll beladen mit schwer beschädigten Flugzeugteilen. Also hatte das Gerücht gestimmt – und die Freude war grenzenlos. Die Wehrmacht zog zur Gänze ab, Angst und Spuk waren wie durch einen Zauber vorbei. Wir waren gerettet.
Drei Monate nach der Landung in Sizilien begrüßte am 3. September 1943 – der historischste Tag im Leben aller in Kalabrien verbannten Juden (über 2000 Personen allein im Konzentrationslager Ferramonti-Tarsia) – ganz Celico euphorisch die Jeeps und Militärlastwagen der 8. Armee Großbritanniens, die schon vorher ganz Afrika befreit hatte und sich nun anschickte, die Deutschen aus Italien und den Rest Europas zu vertreiben. Unsere Rettung, die Stimmung und die Emotionen bei der Ankunft der Engländer, die beiderseitige Verbrüderung und Freude sind nicht zu beschreiben. Einige Tage später, am 8. September, unterschrieb Italien die Kapitulation, die befreiten Landesteile verbündeten sich mit den Alliierten und marschierten nun gemeinsam gegen das Deutsche Reich. Was für eine Gunst war uns vom Himmel geschenkt worden, während im Rest Europas das Abschlachten unseres Volkes erst begonnen hatte...
Es war der Anfang vom Ende des 2. Weltkriegs. Der Umbruch hatte sich bereits angekündigt, als fast ein Jahr zuvor mit der großen Schlacht von El Alamein der hochgejubelte Afrikafeldzug von Reichsmarschall Rommel durch den Sieg der Engländer zum Stillstand kam. Die Deutschen, die sich schon in Kairo flanieren sahen, mussten ganz Afrika aufgeben und den Kontinent verlassen. Dadurch war auch eine große Gefahr für den Mittleren Osten abgewendet worden: in Syrien, im Irak, ja selbst im Iran waren hitlertreue Regime an der Macht, die sich gegen England und Frankreich gestellt hatten und der Jischuw in Erez Israel war über alle Maßen durch den Vormarsch der Deutschen in Afrika bedroht. Von Anfang an kämpften die Juden mit den Alliierten auf allen Fronten mit, Moshe Dayan verlor sein Auge bei einer Schlacht in Syrien. Die Jüdische Brigade jedoch entstand erst während des Italien-Feldzugs, als Einheit der 8. Armee.
Der Italienfeldzug, der so glücklich durch die rasche Eroberung von Sizilien begonnen hatte und durch den Abzug der Deutschen aus Kalabrien, Basilicata und Apulien mit großer Freude der Bevölkerung fortgesetzt wurde, kam aus Mangel an Nachschub in Schwierigkeiten, die die Deutschen reichlich ausnützten: sie besetzten das noch nicht befreite Land und nahmen die italienische Armee gefangen. Noch vor der mutigen Landung der 8. Armee in Sizilien hatte es in Italien den Aufstand der faschistischen Hierarchie, u.a. angeführt von Mussolinis Schwiegersohn, Graf Gian Galeazzo Ciano, gegeben: bei der Sitzung des Obersten Rates der Partei am 25. Juli 1943 wurde Mussolini aller seiner Ämter enthoben und in die Verbannung auf den Gran Sasso geschickt. Marschall Badoglio wurde vom König zum Ministerpräsidenten ernannt und führte zum Entsetzen der Bevölkerung den Krieg an der Seite Deutschlands weiter. Es war nicht die Erlösung, die man am 25. Juli sehnlichst erträumt hatte, auch weil man nicht wusste, dass die neue italienische Regierung heimlich dabei war, den Waffenstillstand mit den Alliierten auszuverhandeln, der dann ja am 8. September in Kraft trat. Diese Verzögerung führte dazu, dass die Deutschen sich in Mittelitalien sammelten und im ganzen Rest von Italien die Macht übernehmen konnten. Das war der Beginn des Kampfes der Partisanen und der Judendeportationen, allein aus Rom wurden über 8000 Juden in die Vernichtungslager geschickt. Mussolini wurde von seiner Gefangenschaft mit Gewalt befreit und Oberhaupt der neuen Republik von Salò, natürlich total unter deutscher Kontrolle. So war der Duce nicht nur entmachtet, sondern ganz zum Mittäter der Nazis und seiner rabiaten Faschisten geworden. Italien konnte sich erst im April 1945 durch eigene Kraft befreien und Mussolini wurde von den Partisanen, die ihn auf der Flucht stellten, hingerichtet.
Ein einschneidendes Ereignis für die Italiener, die den Krieg und die Deutschen schon immer gehasst hatten, war die Exekution der Besatzung des italienischen Marinestützpunktes auf der griechischen Insel Kefalonia: die über 5000 Soldaten wurden zwischen 18. und 23. September von deutschen Gebirgsjägertruppen abgeschlachtet. Nur eine Randbemerkung über die in den Nazimorden „nicht“ involvierte Wehrmacht... Man kann über die zahlreichen einschneidenden und den Ausgang des 2. Weltkriegs bestimmenden Umwälzungen auf allen Kriegsschauplätzen des Jahres 1943 in der ganzen Welt, ein Ereignis nie oft genug erwähnen: am 19. April begann der Aufstand des Warschauer Ghettos. Drei Wochen lang verteidigten die dort noch verbliebenen Juden ihr Leben gegen ein Großaufgebot der Wehrmacht und konnten so, in heldenhafter Weise, der ganzen Welt zeigen, dass sich die Juden nicht ohne Widerstand zur Schlachtbank führen lassen. Die Niederlage des „unbesiegbaren“ Rommel in Afrika, der Sieg der UdSSR in Stalingrad, der Aufstand des Warschauer Ghettos: 1943 war ohne Zweifel das große Jahr der Kriegswende und der Anfang vom Ende Hitlers. Was niemand vorher glauben und erhoffen konnte schien nunmehr möglich und die Welt begann aufzuatmen und positiv in die Zukunft zu blicken. Niemand konnte jedoch den noch so langen und blutigen Weg vorhersehen: Millionen Tote, zerstörte Länder und Städte und die totale Vernichtung des europäischen Judentums. Nur mit der 1943 entzündeten Hoffnung konnten die Überlebenden all das überstehen. 70 Jahre sind seither vergangen und wer heute noch lebt, meint, es sei gestern gewesen... Viel hält er aus, der Mensch auf Erden.