Das Leopold Museum zeigt zum 70. Geburtstag des Malers und Fotografen Manfred Bockelmann bis 2. September die sehr beeindruckende und tief berührende Ausstellung Zeichnen gegen das Vergessen. Der Künstler wollte zu seinem Jubiläum nicht nur einen Überblick über seine Arbeiten zeigen, Bockelmann wollte mehr.
Der Kärntner hat sich immer wieder gefragt: In welche Zeit wurde er hineingeboren? Was ist mit den Kindern seiner Generation im Nationalsozialismus passiert? Er hat Glück gehabt, viele andere nicht, denn er hat überlebt, weil er in der „richtigen Wiege” lag. In der Schau im Leopold Museum gedenkt er auf seine Weise den Kindern und Jugendlichen. Das Bildmaterial stammt aus Büchern wie Die Kinder von Auschwitz. Darin beinfinden sich Fotografien, die von den Lager- oder Krankenhausverwaltungen für erkennungsdienstliche Archive gemacht wurden. Signifikant ist natürlich der Ort der Ausstellung, sind doch die Blicke bezüglich Restitutionsfragen sehr stark auf das Museum gerichtet. Vertreter des Leopold Museums wandten sich an den Künstler bezüglich der Ausstellung der Zeichnungen, was Bockelmann sehr entgegen kam, denn er hatte Jahre zuvor eine Vision: Als er einmal über den Platz im MuseumsQuartier ging, sah er große Schiele-Porträts, die auf die Hausfront des Museums projiziert wurden und junge Menschen davor. Und da dachte er sich, dass da seine Porträts sein müssen, da er junge Leute mit diesen Bildern ansprechen will.
Der Künstler hat nach diesen Fotografien großformatige Porträts im Format 150 x 110 cm gezeichnet. Die Fotos stellen die Gesichter im Profil, Halbprofil und en face dar – der Künstler entschied sich im Kontext dieser Ausstellung für Arbeiten mit Frontalansicht – denn so blicken diese jungen Gesichter den BetrachterInnen direkt in die Augen. Eine Gruppe zeigt Euthanasie-Opfer, die er mit Kohle auf weiß getünchtes Leinen auftrug. Signifikant für Bockelmann sind horizontale Linien, die mal stärker, mal schwächer das Bild füllen. Die zweite Gruppe präsentiert Roma und Sinti, die sich für diese Fotografien herausgeputzt haben, sie tragen ihre beste Kleidung und ein Mädchen trägt eine Schleife im Haar. Sie wussten noch nicht, was auf sie zukommen würde. Die dritte Gruppe trägt das gestreifte KZ-Gewand mit den Winkeln und der Nummer. Diese Bilder sind weder gerahmt, noch auf Keilrahmen aufgespannt. Sie hängen mit zwei Nägeln befestigt etwas von der Wand entfernt. Bei der Roma und Sinti Gruppe ist ein Bild ausgelassen, vermutlich ist das ein Leerzeichen dafür, dass dort noch unendlich viele Bilder hängen könnten. Die meisten der zwei bis achtzehnjährigen wurden während der NS-Zeit ermordet. Die Namen von fast allen sind bekannt, wenige sind nur aufgrund ihrer KZ-Nummer identifiziert, bei manchen ist auch Biografisches zu lesen. Weiters hat Bockelmann auch Bilder geschaffen, die aus Familienalben stammen. Diese sind bis auf eins auf sepiafarbene Leinwand gezeichnet, was den Charakter einer alten Fotografie verstärkt. Sie sind auf Keilrahmen aufgespannt. Diese Kinder lächeln noch. In einem abgedunkelten Raum wird ein Film gezeigt. Dieser zeigt eine Fahrt durch die Stadt, in der immer wieder diese Gesichter auf Häuserwände projiziert wurden, was diese Vision Bockelmanns wiederum thematisiert.
Bereits in einer Installation im Vorraum werden die BetrachterInnen von einem überdimensional großen Kindergesicht angeblickt, das der Künstler mit verkohlten Birkenstämmen und Kohle direkt an die Wand gezeichnet hat. Das Malwerkzeug, die Stämme stehen daneben. An einer anderen Wand lehnen ebenfalls mehrere Birkenstämme, vor schwarzen, kurvigen Linien. In einem weiteren Raum hängen unzählige Zeitungsseiten, die Bockelmann mit seinen charakteristischen Linien übermalt hat. Mal mit dicken, mal mit dünnen Linien, mal mehr, mal weniger dicht. Es sind für Bockelmann geologische Schichten oder sie öffnen und schließen sich wie eine Jalousie, wodurch die Frage auftaucht: Wer schaut? Schauen die auf den Bildern der Zeitung abgedruckten Menschen zu den BetrachterInnen oder umgekehrt? Eine spannende und außergewöhnliche Ausstellung gegen das Vergessen.
Leopold Museum, MuseumsQuartier, 1070 Wien, Museumsplatz 1
Ausstellung bis 2. September 2013