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Vermeer darf bleiben

Als wahrer Kunstkrimi entpuppt sich die Forschung um die Restitution Jan Vermeers De Schilderconst (Die Malkunst). Die Ergebnisse sind nun in einer Publikation der Kommission für Provenienzforschung, herausgegeben von Susanne Hehenberger und Monika Löscher, im Böhlau Verlag erschienen. 2011 sprach sich der aufgrund des Kunstrückgabegesetzes eingerichtete Beirat gegen eine Übereignung des Bildes aus dem Kunsthistorischen Museum Wien an die RechtsnachfolgerInnen des damaligen Verkäufers, Jaromir Czernin, aus.

 

Auf dem Bild, entstanden in den späten 1660er Jahren, gibt ein prächtiger Teppichvorhang den Blick auf ein bürgerliches Interieur frei. Der gemalte Maler kehrt den BetrachterInnen den Rücken zu und hält ein als Clio verkleidetes Mädchen, das vor ihm steht, auf der Leinwand bildlich fest. Im Hintergrund befindet sich ein Bild im Bild, das eine Landkarte der Niederlande mit den siebzehn Provinzen zeigt. Die Signatur IVerMeer befindet sich auf dem unteren Randstreifen. Das Gemälde wurde 1804 aus dem Nachlass von Gottfried van Swieten als vermeintliches Werk Pieter de Hoochs versteigert und von Johann Rudolph Graf von Czernin von Chudenitz erworben. Die Privatsammlung mit dem Schwerpunkt Malerei des 17. Jahrhunderts entwickelte sich damals zu einer der prominentesten und war öffentlich zugänglich. Zuerst in einem Palais in der Wallnerstraße 3, im sogenannten Kaiserhaus, untergebracht, wurde sie nach dem Tod von Johann Rudolph von seinem Sohn am Friedrich-Schmidt-Platz 4 zugänglich gemacht. Ein Novum waren die für die Gemäldesammlung eigens gebauten Räume mit Oberlicht-Fenster. 1932, nach dem Tod seines Adoptivvaters Franz Jaromir Czernin, erbte Eugen Czernin die Sammlung. Der zweite Protagonist, der nun in Bezug auf die Malkunst auftauchte, war sein Neffe Jaromir Czernin von Chudenitz und Morzin, der seinen Erbanspruch anmeldete.

Eugen wollte die Galerie erhalten, Jaromirs Interessen dagegen waren materieller Art. Eugen äußerte sich in seinem Tagebuch folgendermaßen: „Ich stehe auf dem Standpunkt, dass es nicht angeht, einen so wertvollen Besitz, der seit 100 Jahren der Stolz der Familie ist, dafür zu opfern, dass Jaromir sein Lotterleben finanziere und seiner Mätresse in den Rachen werfe.” Auch Vertreter des Bundesdenkmalamts vertraten ihre Interessen: nach mehreren Eingaben, die Czernin’sche Gemäldegalerie unter staatliche Aufsicht zu stellen, wurde sie schließlich 1924 unter Denkmalschutz gestellt. Ein Verkauf der Malkunst würde einen schweren künstlerischen und kulturellen Verlust für Österreich bedeuten. Es kam zu einem Vergleich zwischen Jaromir und Eugen Czernin: Eugen bekam den gesamten Kunstbestand, ausgenommen das Bild Die Malkunst zum freien Eigentum. Nach einem Verkauf des Bildes müsste Jaromir 20% des Verkaufserlöses an Eugen bezahlen. Jaromir war mit Martha Szecheny verheiratet und bei der zuvor beschriebenen Mätresse handelte es sich um Alix May, die er nach der Scheidung heiratete. In der Familie Czernin scheiterten viele Ehen, auch Jaromirs älteste Schwester Vera trennte sich von ihrem Mann und heiratete Kurt Schuschnigg. Alix May, eine geborene Frankenberg-Ludwigsdorff, war ebenfalls geschieden. Sie stammte aus der Kölner Bankiersfamilie Oppenheim. Ihr Großvater, Eduard Oppenheim, war Jude und heiratete die aus einer evangelischen Kaufmannsfamilie stammende Amalie Heuser. Vor der Eheschließung konvertierte er vom mosaischen zum evangelischen Glauben. Mit 16 Jahren wurde Alix schwanger und brachte ein Kind zur Welt. Noch keine 19 Jahre alt heiratete sie Franz Joseph Freiherr von Zandt, von dem sie aber noch im selben Jahr geschieden wurde. In zweiter Ehe war sie mit dem Unternehmer Roland Graf von Faber-Castell verheiratet. Die jüdische Abstammung war bereits vor der Machtübernahme in der NS-Presse erörtert worden. In den Jahren nach der Machtübernahme erreichte die Erregung gegen die Gräfin in der Bevölkerung von Stein ihren Siedepunkt. Vor dem Schlosseingang waren folgende Worte gemalt: „Die Oppenheim, das Judenschwein, muss raus aus Stein.” Auch in der Zeitschrift Der Stürmer erschien 1933 ein Artikel, der ihren luxuriösen Lebensstil und ihren häufigen Wechsel des Personals kritisierte. 1935 wurde die Ehe von Alix May und Roland Graf von Faber-Castell geschieden.

Jaromir lernte Alix May im Sommer 1937 bei den Salzburger Festspielen kennen und sie heirateten. Beide stellten einen Antrag auf Aufnahme in die NSDAP. Wegen ihrer jüdischen Abstammung wurde dies aber abgelehnt, ebenso der Antrag von Jaromir wegen jüdischer Versippung. Die Ehe wurde im Mai 1942 geschieden, im November 1944 heirateten sie erneut und1951 ließen sie sich wieder scheiden. Bereits in den 1920er Jahren gab es Bemühungen zum Kauf der Malkunst durch international agierende KunsthändlerInnen. Ab 1932 waren auch die Eigentümer am Verkauf interessiert. Nach dem Anschluss interessierte sich Adolf Hitler für das Gemälde. Das Bild wurde 1939 nach München zur Ansicht transportiert, aber Hitler lehnte den Kauf zunächst wegen der hohen Preisforderung ab. Mit dem Hamburger Industriellen und Sammler Philipp Reemtsma gab es Verkaufsverhandlungen, die aber scheiterten an der Einmischung der Wiener Behörden. Im Oktober 1940 wurde das Bild schließlich an Hitler um 1.650.000 RM verkauft. Jaromir bestritt die Gültigkeit des mit seinem Onkel abgeschlossenen Vergleichs. Eugen wurde bedrängt, nicht nur auf das ihm zustehende Fünftel des Verkaufserlöses am Vermeer zu verzichten sondern auch die Hälfte der Erbgebühren zu zahlen. Das Gemälde blieb nach seinem Verkauf in München und wurde im 1944 nach Altaussee evakuiert. In dem dortigen Salzbergwerk wurde es 1945 von der amerikanischen Armee sichergestellt und nach München in den Central Collecting Point (CCP) transportiert. Anschließend wurde es der österreichischen Bundesregierung übergeben, doch bereits zuvor forderte Jaromir Czernin die Rückgabe des Gemäldes. Er erklärte, nie einen Antrag auf Aufnahme in die NSDAP gestellt zu haben und unter Zwang verkauft zu haben. Aber es existiert ein Schreiben von Jaromir Czernin an Adolf Hitler, in dem er festhielt: „Mit dem Wunsche, das Bild möge Ihnen mein Führer stets Freude bereiten”. In seiner ersten Stellungnahme erwähnte Jaromir weder die jüdische Abstammung seiner Frau, noch seinen angeblichen politischen Widerstand. Nachdem das Dritte Rückstellungsgesetz erlassen worden ist, in dem es heißt, dass wenn der Eigentümer politischer Verfolgung durch den Nationalsozialismus unterworfen war, ein Rückstellungsanspruch bestehe, erklärte Jaromir, dass er politisch verfolgt worden sei. Seine Forderungen wurden in allen Instanzen abgelehnt. Daraufhin stellte er 1951 einen Antrag gegen das Deutsche Reich, worin er präzisierte, dass er verfolgt worden sei, weil er Kurt Schuschniggs Schwager war. Auch seine Frau sei politischer Verfolgung ausgesetzt gewesen. Jaromir behauptete, seine Frau sei „Halbjüdin” gewesen und 1954 machte er sie sogar zur „Volljüdin”.

Seine politische Verfolgung und der Verweis auf die jüdische Abstammung seiner Frau wurden im Laufe der Jahre immer stärker betont. Das Ganze gipfelte darin, dass er das Bild an die National Gallery of Art in Washington „verkaufte”, da die Berufung gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion aussichtsreich und der Export des Bildes dann ohne Schwierigkeiten möglich sei. Jaromir Czernin starb 1966 in München, doch der Kunstkrimi ist dadurch noch nicht zu Ende. 1986 reichte Gertrude von de Graaff, die von 1951 bis 1955 mit Jaromir verheiratete war, eine Klage gegen die Republik Österreich auf Herausgabe des ­Vermeer ein. Die Klage wurde zurückgewiesen. 2009 forderte die Familie Jaromir Czernin die Rückgabe der Malkunst. Nach intensiven Recherchen wurde das Dossier zur Malkunst dem Künstrückgabebeirat vorgelegt, der in seiner Sitzung vom 18. März 2011 die Empfehlung aussprach, das Bild nicht an die RechtsnachfolgerInnen von Todes wegen nach Jaromir Czernin zu übereignen. Ein äußerst interessantes Buch, in dem u. a. auch von Silke Reuther die Kunstsammlung von Reemtsma beschrieben oder von Bertrand Perz die Neueren Forschungen zur Frage des Status von Personen, die im Deutschen Reich nach den Nürnberger Gesetzen als „Mischlinge” definiert wurden erörtert wird. Weiters wird auf Kopien der Malkunst eingegangen und ein restauratorischer Blick auf das Gemälde gerichtet.

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